Werner Nekes |

Zwischen den Bilder (Über die Trägheit der Wahrnehmung)

1981, 16 mm, Farbe, 12 Min.

Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Film “Zwischen den Bildern”, einem dreiteiligen Film, den die Stiftung Deutsche Kinemathek im Auftrag des ZDF hergestellt hat: “Filmmontage ist die Organisation von Bildern und Tönen. Diese Organisation hat eine Geschichte”. Im dritten Teil des Films “Über die Trägheit der Wahrnehmung” (von Klaus Feddermann und Helmut Herbst, 58 Min.) reflektieren Filmemacher wie Jean-Luc Godard, Danièle Huillet, Jean-Marie Straub, Alexander Kluge, Klaus Wyborny und Werner Nekes ihr Verhältnis zum Schnitt, zur Montage und damit zur Geschichte des Films.

Auszug aus der Dialogliste

Nekes:
Wie die Pointillisten, Impressionisten oder Seurat bemüht waren, ein adäquateres Abbild ihrer Umwelt zu malen, so bemühe auch ich mich, in Auseinandersetzung mit den Geräten, den visuellen Prinzipien etwas Adäquates zu meinem Denken zu schaffen. Also eine visuelle Sprache zu finden. Das, was mich umgibt, zu zerlegen und wieder neu zusammenzufügen, so daß der Zuschauer ein aktiver Partner meiner Arbeit wird, daß bei ihm Phantasie möglicherweise produziert wird, durch die Kollision von verschiedenen Bildelementen, durch die Anstrengung, die für mich eine Lust ist, die auch ihm eine Lust werden kann, daß seine Augen mehr zu tun haben.

Filmausschnitt: JÜM-JÜM

Nekes:
Wenn ich jetzt so gesehen werde, wenn ich mich bewege, dann vergessen wir leicht, daß wir nur eine bestimmte Artikulationsfähigkeit der filmischen Sprache benutzen. Es gibt deren mehrere. Es gibt deren unterschiedliche. Ich behaupte, daß sie nur graduell voneinander unterschieden sind. Wenn ich mich nicht bewege, dann montiert der Film den Fluß des Lebens, also ein Raum-Zeit-Kontinuum.

Nekes:
Darf ich vorstellen: meinen Kollegen, den Zauberer Hotchkiss, der, wie ich, in seiner Arbeit die Trägheit der Wahrnehmung benutzt. Hier ist der Kopf, der Lebensfaden, und jetzt durchschneidet der Zauberer den Hals. Von unten, von oben, und ich wundere mich, wie er diesen Hals durchschneiden kann. Ich sehe diese Montage nicht. Film ist ein Streifen in der Zeit, der ständig durchschnitten ist. Ich habe hier, wie bei meinen frühen Filmen, Bild für Bild geschnitten. Also man sieht, vielleicht hier in der Reflexion, daß ich mich in Handarbeit bemüht habe, eine unterschiedliche Bewegung herzustellen, unterschiedlich von der, für die die Kamera üblicherweise gebraucht wird. Hier habe ich die Chance durch den Schnitt größerer Differenzen miteinander im Kopf des Zuschauers zusammenbringen zu können. Ein Beispiel dafür, wie das die Filmemacher des 19. Jahrhunderts gemacht haben ist dieses hier. Ein Sujet, das ich unbewußt später – oder nicht kennend – später aufgegriffen hatte, eine Schaukel, auf der eine Mädchen sitzt, und durch das Verschieben von Schwarzfeldern, von Nichtinformationen, verändert sich das möglicherweise zu einer Bewegung. Oder anders ausgedrückt, wie ich das in dem Film JÜM-JÜM visuell gemacht habe, ich produziere nicht eine abgefilmte Bewegung, sondern ich produziere eine filmische Bewegung. Ich benutze also den Film wie ein Instrument, um eine Bewegung sichtbar machen zu können, die es so in der Natur nicht gibt. Ich benutze Film als künstliche Sprache.

Filmausschnitt: JÜM-JÜM

Nekes:
Eine Voraussetzung, Bedingung des Sehens, die der Film ausnutzt, ist die Trägheit unserer Augen. Das Beharrungsvermögen des Sehsinns. Ein Lichtpunkt in schneller Bewegung wird zur Lichtlinie oder zu einem Kreis aus Licht. Optische Spielzeuge verkörpern schon vor der Existenz des projizierten Films die Prinzipien der Filmmontage. Das Thaumatrop verschmilzt große Bildunterschiede zu einer neuen Form oder Gestalt. Blätterbuch oder Praxinoskop nutzen die geringen Differenzen zwischen den Bildern zur Bewegungsverschmelzung. So hatte das 19. Jahrhundert bereits seine gezeichneten Schlaufenfilme, basierend auf großen oder kleinen Bildunterschieden.
Ich habe hier einen Filmstreifen. Hier ist Bild A1 es folgen viele Bilder, hier ist das letzte Bild der ersten Einstellung, An. Hier ist ein Bruch, hier folgt ein neuer Filmstreifen, Bild B1, und so weiter bis Bn. Dieser Punkt im Film, im herkömmlichen Film, im herkömmlichen Verständnis von der Filmsprache, wird als Montage bezeichnet. Wo zwei Einstellungsblöcke aufeinanderprallen.

Filmausschnitt: JÜM-JÜM

Nekes:
Will ich die filmische Sprache leistungsfähiger machen, gelange ich über das Kinemodell, dem Zusammenprall von zwei Bildern in der Verschmelzung, dazu, daß ich erkenne, daß ich überall dort, wo Bild auf Bild aufeinanderprallt, eine Artikulationsmöglichkeit habe. Diese Artikulationsmöglichkeit besteht darin, die Differenz in unterschiedlichen Arten und Weisen auszunutzen. Wenn die Differenz gering ist, dann erzeuge ich eine Bewegung, die Illusion der Bewegung, wenn die Differenz größer ist bei Differenzmaximum, erzeuge ich eine Gestaltverschmelzung.
Auf einem höheren filmischen Niveau kann ich jetzt auch neben dem Kino mit Kinefeldern arbeiten. Ein Kinefeld besteht für mich aus der Bildzahl 2 bis etwa 16 Bildern, die ich miteinander in Verschmelzung bringen kann. Diese Zahl ist subjektiv und abhängig von dem persönlichen Kurzzeitgedächtnis der persönlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Um die Leistungsfähigkeit der filmischen Sprache zu erhöhen, des Trägers, des Informationsträgers Film, habe ich wie zum Beispiel in T-WO-MEN neben der Aufnahme, der kontinuierlichen Aufnahme, mit den minimalen Differenzen, auch sehr viele Einzelbilder gedreht, die den Zeitraum ausnutzen, der vergeht, und auch den Bildwechsel ausnutzend, der mir möglich gemacht wird in den Pausen. Zum Teil mit Dreifach-Belichtungen, mit Fünffach-Belichtungen, in denen auf den verschiedensten Ebenen Bildebenen, die unterschiedlichsten Sujets miteinander verwoben werden können. Das ist eine Art Polyphonie oder polyvisuelle Vielfalt, die dadurch erzeugt wird.

Filmausschnitt: T-WO-MEN Nekes:

Nekes:
Um jetzt nicht alles manuell machen zu müssen, bei meinen ersten Filmen hat man zu dritt ein, zwei Wochen geschnitten, habe ich mir verschiedene Apparate ausgedacht, vielleicht noch Dinosaurier in der Entwicklung wie dieser hier. Ein runder Spiegel, oberflächenbespiegelt, halb geteilt, den ich jetzt in Bewegung bringen kann. Ich werde also im Moment gleichzeitig gesehen, Gleichzeitig wird aber auch das Eingespiegelte gesehen. Ich sehe also hindurch.

Filmausschnitt: MIRADOR

Nekes:
Der Effekt dieser Aufnahme ist, daß ich unterschiedliche Bildweiten zusammenbringen kann und miteinander kombinieren kann. Um mit der Zeitrhythmusmaschine der Bilder arbeiten zu können, habe ich mir weitere Geräte gebaut. Hier ein Zeitsteuergerät. Ich habe hier die Bildzahl, die ich eingeben kann für belichtet und für unbelichtet In der geöffneten Phase wird belichtet, in der geschlossenen Phase wird nicht belichtet. Nach Ende der Aufnahme wird der Film zurückgewickelt, und in die unbelichteten Phasen wird ein anderes Bildsujet mit dem bisherigen verwoben.

Filmausschnitt: HURRYCAN

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