„Vorstufe mit Nachspiel“
Interview mit der Zeitschrift K.West (Andreas Wilink und Andrej Klahn), April 2004


„Alles war wie im Film“ schrieb Siegfriedd Kracauer über die NS-Zeit. Drehbuchreif kann einem auch die Tatsache erscheinen, daß während des II. Weltkriegs im totalitären Deutschland und Propagandastaat des Dr. Goebbels Pornofilme produziert wurden. Thor Kunkels noch ungelesener Roman „Endstufe“, der – von Rowohlt abgelehnt – nun bei Eichborn erscheint un im Vorhinein bereits eine heftige Debatte entzündete, „spielt“ mit diesem Fakt in fiktionalisiertem Rahmen. Zwei der so genannten Sachsenwald-Pornos sind im Besitz des Mülheimer Experimental-Filmregisseurs und Medientheoretikers Werner Nekes. Andreas Wilink und Andrej Klahn sprachen mit Nekes und sahen die Filme. Wer eher harmlose Freiübungen im Stil von Kraft durch Schönheit erwartet hatte, irrt gewaltig.

» Um etwas interessant zu finden, muss man es nur lange genug betrachten.« (Flaubert)
K.West: Auf welchem Wege sind Sie an die Sachsenwald-Filme gekommen?
Nekes: Es gab in den 70ern im Playboy eine Serie über den erotischen Film und über frühe Pornofilme. Darin stand, dass während der Nazi-Zeit im Sachsenwald Pornofilme gedreht worden waren, jedoch ohne Angabe eines Autors. Ich habe die Filme dann Mitte der 70er, als Video aufkam, zufällig in Hamburg gekauft. Bei dem früheren Kopiermeister von Geyer, der sich im Keller seiner Villa eine Kopieranstalt eingerichtet hatte, erotische Filme sammelte und kopierte. Er hat mir die Filme en bloc zum Kauf angeboten. Und ich habe sie übernommen, weil ich es schade gefunden hätte, wenn die einfach so verschwunden wären.
K.West: Um wie viele Filme handelt es sich da?
Nekes: 1oo, vielleicht 140. Zwischen fünf und 15 Minuten lang und in der Zeit von 192o bis 1955 entstanden. Darunter waren amerikanische, kubanische, deutsche, sehr frühe aus den 2oer Jahren; einige sehr komische aus Frankreich aus den 5oern, auch Trickfilme und eben die zwei Sachsenwald-Filme, „Frühlings Erwachen“ und „Der Fallensteller“.
K.West: Auf welchem handwerklichen Niveau bewegen sie sich?
Nekes: Sie können durchaus mit Avantgarde-Filmen jener Zeit mithalten. Verglichen mit anderen schmutzigen Filmen sind sie qualitativ sehr hochwertig. Die Szenen sind gut aufgelöst, das Licht wurde sehr bedacht gewählt. Das legt die Vermutung nahe, dass sie von professionellen Leuten hergestellt wurden und einen kommerziellen Hintergrund hatten. ich nehme allerdings an, dass nur ein Kameramann beteiligt war. Es gibt keinen Vor- oder Abspann, nur ein Titelschild in »Frühlings Erwachen« ohne weitere Angaben, da die Hersteller sich damals strafbar gemacht hätten.
K.West: Was in »Frühlings Erwachen« und »Der Fallensteller« passiert, ist durchaus drastisch und lässt an Eindeutigkeit nichts offen.
Nekes: Im ersten Film amüsieren sich zwei Frauen miteinander im Wald, ein junger Mann kommt hinzu und macht mit. Nach Kunkels Recherchen zeigt der zweite Film erstmals explizit eine Vergewaltigung, die meiner Einschätzung nach nicht sonderlich brutal ist. Die gespielte Freude des Opfers ist deutlich sichtbar.
K.West: Inwiefern lässt sich nach heutigen Kriterien überhaupt von Pornografie sprechen?
Nekes: Nun, es gibt explizite Großaufnahmen. Fast das gesamte Vokabular des Pornofilms ist vertreten. Alles geschieht für die Kamera, die nicht voyeuristisch ist, das heißt: sie beobachtet nicht aus der Ferne. Die Handlung ist inszeniert wie im Spielfilm, aber ohne an Aktionsdynamik zu verlieren, was auch daher rührt, dass die Filme auffällig gut geschnitten sind.
K.West: Wenn Sie die Sachsenwald-Filme vor dem Hintergrund der offiziellen Ästhetik der 30er und 4oerjahre situieren, der des Ufa-Films: Gibt es Parallelen, seien es ästhetische oder thematische wie etwa Naturschwärmerei und Sauberkeitswahn?
Nekes: Das ist schwierig zu beantworten. Manche Einstellungen erinnern mich eher an die russischen Filme der 3oer Jahre, es gibt expressionistische Großaufnahmen eines verzerrten Kopfes, die man aus deutschen Spielfilmen dieser Epoche nicht kennt. Interessant wäre zu überprüfen, inwieweit diese Ästhetik auch im zeitentsprechenden deutschen Dokumentarfilm vorhanden war, der im internationalen Vergleich sehr bedeutend gewesen ist.
K.West: Schauen wir auf die Wald- und Wiesenszenerie. Es gibt bei Elias Canetti die Zuordnung nationaler Symbole: Den Engländern spricht er das Meer zu, den Deutschen den Wald, Ort von Siegfried in den Nibelungen und der Grimmschen Märchen. Ist es Zufall, dass die Sachsenwald-Filme in der Natur spielen und nicht ein urbanes Setting haben?
Nekes: Man kann hier, glaube ich, nicht von einer romantisierenden Naturbetrachtung sprechen. Aber immerhin, es wackelt die kleine Baumkrone, wenn der Voyeur, der die beiden Damen betrachtet, onaniert.
K.West: Die Sachsenwald-Filme ließen sich gewissermaßen auch dem Kulturfilm zuschlagen. Hartmut Bitomsky hat in seiner Film-Dokumentation „Deutschlandbilder“ den Kulturfilm jener Jahre als Maskenspiel analysiert. Ein Bild als die Maske des anderen. Hinter jedem Bild verberge sich eine andere Bedeutung. So verweise der Körper auf den Stahl, das Aktbild auf die Uniform. Lässt sich mit Hilfe dieses Schemas in den Filmen etwas erkennen?
Nekes: Diese Frage habe ich mir noch nicht gestellt. Ich vermute aber, dass man in diese Filme etwas hinein interpretieren kann. Man sollte sich vielleicht an Äußerlichkeiten halten. Also: Was haben die Darsteller für Kleidung an? Zeitgenössische, gegenwärtige Kleidung. Es sind Menschen wie Du und Ich. Der einfache Mann, dessen Kleidung aber eher schlottrig wirkt.
K.West: Der einfache Mann als Idealverkörperung des NS-Films.
Nekes: ...und die Damen lassen sich als Verkäuferinnen beschreiben.
K.West: Ein Menschenbild, das im Ufa-Unterhaltungsfilm eine Hauptrolle spielte...
Nekes: Aber hier ohne Show und Glamour. Die Sachsenwald-Filme wirken eher klassisch, fast zeitlos. Und sind nicht überästhetisiert.
K.West: Wird in den beiden Filmen bewusst oder unbewusst Zeit abgebildet? Oder ist es ein ideologiefreier Raum?
Nekes: Letzteres, obwohl die Behandlung der Frau als Objekt durch den gewalttätigen Mann natürlich dem Geist dieser Zeit entspricht. Allerdings wird der Mann später ebenfalls als Objekt behandelt. Er wird von den Frauen vergewaltigt.
K.West: Ist das nun Genre-Vokabular oder tatsächlich dem Zeitgeistgeschuldet?
Nekes: Natürlich ist das Genre-Vokabular. Doch aus heutiger Sicht ist überraschend, dass schon vor über sechzig Jahren Entscheidendes dieses Genres, vor allem das Objekthafte, vorweggenommen wird. Das ist, wenn man die Filme mit den übrigen des von mir erworbenen Konvoluts vergleicht, eine Neuerung.
K.West: Wie müssen wir uns diesen Gewerbezweig zur offiziellen Filmproduktion der NS -Zeit vorstellen?
Nekes: Ich kann da nur spekulieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es damals anonyme Kopierstätten gegeben hat, ist gering. Ich vermute, dass gewisse Leute die Augen zugedrückt haben, oder dass es sogar mit deren Wissen geschehen ist. Die Produktion im Wald kann natürlich heimlich stattgefunden haben. Filmmaterial war frei zugänglich. Es deutet allerdings nichts darauf hin, dass die Filme ganz schnell abgedreht wurden. Dafür sind sie zu sorgfältig gemacht. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sie in einem Tag gedreht werden konnten, würde eher vermuten, dass man an mehreren Tagen zu selben Zeit gedreht hat. Die Schnittweise lässt vermuten, dass eine sehr gute Cutterin beteiligt war. Pornofilme waren ein sehr wertvolles Gut. Durchaus möglich, dass dahinter wirtschaftliche Interessen steckten.
K.West: In diese Richtung gingen ja auch Kunkels Recherchen.
Nekes: Kunkel hat recherchiert, dass die Filme mit Schweden gegen Rohstoffe gehandelt wurden. Es gibt aber keine Unterlagen. Ich habe mich darüber mit dem schwedischen Filmkritiker und Filmemacher Gösta Werner unterhalten, der 9o Jahre alt ist und ein enormes Gedächtnis hat. Er hat mir versichert, dass ihm davon nichts bekannt sei, er kennt aber jemanden, der zu dieser Zeit mit pornografischen Filmen gehandelt hat. Die deutsche Botschaft in Stockholm hat damals eine Kopieranstalt besessen - das finde ich doch überraschend. Es gab auch noch andere Hinweise. Kunkel hat da weiter recherchiert und nach Konkretem gesucht. Ohne Ergebnis. Parallel dazu hat er erfahren, dass die Sachsenwald-Filme in Nordafrika gegen materielle Güter getauscht und gezeigt wurden.
K.West: Nationalsozialismus und unterdrückte Sinnlichkeit werden häufig zusammen gedacht. Andererseits - nehmen wir Syberberg, Visconti, Cavanis »Nachtportier« oder Bob Fosses »Cabaret« - kennt das Betrachten und Inszenieren der Hitler-Zeit auch die Tendenz zur Erotisierung der Macht, die Darstellung des Entbindens unterdrückter Affekte. Liegen die Sachsenwald-Film an dieser Schnittstelle?
Nekes: Kunkel hat recherchiert, dass im Umkreis der Macht solche Filme gelaufen sind. Kurioserweise hat sich die Gruppe, die sich mit den Filmen vergnügt haben soll, die »Wochenscheuen« genannt. Ein schönes Wortspiel für diese Herrenabende.
K.West: Die behutsame Art, wie sie Thor Kunkel erwähnen, lässt darauf schließen, dass sie die Skandalisierung seiner Person nicht teilen.
Nekes: Kunkel hat außergewöhnlich sorgfältig recherchiert. In einer Art Making of mit dem Titel »Das feuchte Reich« hat er Gedanken niedergeschrieben, die ich für sehr problematisch halte. Dort erwähnt er als Künstler nur Heroen wie Nietzsche, Wagner etc., geht aber auf ihre problematische Bedeutung in der NS -Zeit überhaupt nicht ein. ich hätte da gern auch andere Namen gesehen. Allerdings hat er mir jetzt gesagt, dass sein Text noch nicht redigiert und nun geändert worden sei. In Bezug auf das, was ich bisher im »Feuchten Reich« gelesen habe, hege ich jedoch die Skepsis, dass er gelegentlich der Faszination des Themas erlegen ist.

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